Swiss Paralegal Association

Swiss Paralegal Award Gewinnerin 2020/2021 Bianca Mergenthaler-Frei im Interview

«Das Thema Electronic Monitoring, als alternative Vollzugsform von Freiheitsstrafen, hat mich gefesselt!»

Bianca Mergenthaler-Frei

Wie jedes Jahr vergibt die Swiss Paralegal Association den Preis für die beste Abschlussarbeit im CAS Paralegal. Frau Bianca Mergenthaler-Frei, seit 2005 als Sachbearbeiterin beim Amt für Raumentwicklung und Geoinformation beim Baudepartement St. Gallen tätig, ist die glückliche Gewinnerin des Swiss Paralegal Awards 2020/2021. In Ihrer Abschlussarbeit setzte sich Frau Mergenthaler-Frei mit dem hoch aktuellen Thema Electronic Monitoring auseinander. Nina Schepis und Eleonora Zoratti vom SPA-Vorstand waren neugierig:

Frau Mergenthaler-Frei, was umfasst der Begriff «Electronic Monitoring» und mit welchen dazu gehörenden Bereichen/Themen setzen Sie sich in Ihrer Arbeit auseinander?

Der Begriff des «Electronic Monitoring», kurz EM, kommt aus dem amerikanischen Sprachgebrauch und wird mit «elektronische Überwachung» übersetzt. Dabei tragen die zu überwachenden und verurteilten Personen eine Fussfessel am Fussgelenk. Der elektronisch überwachte Hausarrest gilt als amerikanische Erfindung mit Beginn in den 1980er Jahren. In den 1990er Jahren startete in der Schweiz ein Modellversuch in zuerst 6 anschliessend 7 Kantonen, welche im Rahmen eines Bundesauftrags EM als alternative Vollzugsform für kurze Freiheitsstrafen testen sollten. Es kamen 2 Arten von Vollzugsformen zur Anwendung: die Front Door-Variante für die kurze Freiheitsstrafen zwischen 20 Tagen und 12 Monaten und die Back Door-Variante mit einer Dauer zwischen 3 und zwölf Monaten, als Anschluss an eine Haftstrafe.

Die Arbeit setzte sich mit der Front Door-Variante auseinander und beleuchtete den Einzug des Modellversuchs ins Schweizerische Strafgesetzbuch (Art. 79b StGB). Es konnte aufgezeigt werden, dass z. B.:

  • mit dieser alternativen Vollzugsform Verurteilte nicht aus ihrem sozialen Umfeld gerissen werden müssen,
  • Kosten gespart und Vollzugseinrichtungen entlastet werden können,
  • die Rückfallquoten nach EM im Vergleich zu anderen alternativen Vollzugsformen geringer ist.

Mit Inkrafttreten des Art. 79b StGB im Jahr 2018 kann ein Verurteilter EM als Vollzugsform beantragen und muss dafür gewisse Voraussetzungen erbringen. Die gesetzliche Grundlage weist allerdings Unstimmigkeiten und Lücken auf, welche die Rechtsprechung künftig zu klären hat.

Was ist die Kernaussage Ihrer Arbeit?

Unter Berücksichtigung, dass regelmässig weniger inhaftierte Personen in die Freiheit entlassen, als Neuverurteilte in Vollzugseinrichtungen eingewiesen werden, macht die Einführung neuer Vollzugsformen Sinn. EM bietet sich an, da diese Vollzugsform kostengünstig und sozialverträglich ist.

Allerdings steht EM immer wieder in der Kritik, dass der Strafcharakter fehle. Dieser Kritik kann entgegnet werden, dass es für die Verurteilten wesentlich einfacher wäre die Strafe unter Gleichgesinnten im Gefängnis abzusitzen als im EM-Vollzug unter freien Mitbürgern.

Warum haben Sie dieses Thema für Ihre Abschlussarbeit ausgesucht?

Strafrecht, wie es auch während des CAS Paralegal an der ZHAW vorgestellt wurde, hat mich gefesselt. Es war für mich klar, dass ich in diesem Themenbereich meine Abschlussarbeit schreiben werde, obwohl meine berufliche Tätigkeit kaum oder nur wenig Berührung damit hat. Das Thema EM, als alternative Vollzugsform von Freiheitsstrafen, hat mich nach einem persönlichen Austausch gefesselt.

Sie sind beim Baudepartement St. Gallen beim Amt für Raumentwicklung und Geoinformation als Sachbearbeiterin angestellt. Gibt es Berührungspunkte zwischen Ihrer Abschlussarbeit und Ihrer täglichen Arbeit?

In Berührung mit den Strafgesetznormen komme ich während meiner Arbeit, wenn z. B. Grundeigentümer ohne Bewilligung bauen. Vorderhand wird die Baubewilligungsbehörde, die Gemeinde, strafrechtlich vorgehen, eine Busse verhängen und allenfalls den Rückbau anordnen. In seltenen Fällen wird auch Strafanzeige erhoben.

Inwiefern kann Ihr Arbeitgeber von den Erkenntnissen aus Ihrer Abschlussarbeit profitieren?

Mein Arbeitgeber kann indirekt von meiner Abschlussarbeit profitieren. Die Auseinandersetzung mit den Strafgesetznormen zeigt mir bei meiner beruflichen Tätigkeit einerseits Ermessungsspielräume auf und andererseits auch Grenzen, welche es einzuhalten gilt.

Wo sehen Sie die Vorteile des «Electronic Monitoring»?

Der grösste Vorteil von EM als Vollzugsform liegt sicher in der Sozialverträglichkeit. Man kann sich das so vor Augen führen, dass z. B. ältere Verurteilte, Schwangere oder auch Familienväter nicht aus ihrem sozialen Umfeld gerissen werden. Wohl sind sie in ihrem Aktionsradius durch die elektronische Überwachung zeitlich eingeschränkt. Dennoch können sie ihrer Arbeit weiter nachgehen und am Familienleben teilnehmen.

Wo sehen Sie die Nachteile?

Ich sehe keine direkten Nachteile.

Es mag sein, dass die Betreuung der Verurteilten während dem Strafvollzug intensiv ist. Dies zeigt sich dann aber auch in den geringeren Rückfallquoten und bestätigt damit, dass eine intensive Betreuung auch sinnvoll und angemessen ist. Zu beachten ist, dass der Verurteilte die Kosten für den Vollzug selber trägt. Allenfalls unterstützen die jeweiligen Kantone.

Die Nachteile werden im Strafcharakter gesehen. Auch, dass Verurteilte sicher verwahrt – weggesperrt – werden sollten. Der Ruf der Allgemeinheit nach einer sicheren Verwahrung von Straftätern wird immer wieder politisch aufgegriffen.

Dabei sollte beachtet werden, dass EM «nur» bei Taten mit geringem bis mittlerem Strafmass Anwendung findet, z. B. Verkehrs-, Eigentums-, Vermögens- oder Drogendelikte.

Besonders interessant sind die ethischen Aspekte des «Electronic Monitoring». Welche Grenze darf man Ihrer Meinung nach nicht überschreiten?

Die Art der Überwachungstechnologie entwickelte sich in drei Generationen, wobei die Systeme der dritten Generation zusätzlich zur Überwachung auch direkte Interventionen am Körper des Verurteilten ermöglicht. Sobald der Überwachte eine Aufenthaltsbeschränkung verletzt, kann per Fernbedienung ein Elektroschock ausgelöst werden. Der Verstoss wird so unmittelbar sanktioniert. Überlegungen gehen gar so weit, Sender in Form eines Microchips bei Straftätern zu implantieren, um dadurch u.a. biochemische Messungen zur Überwachung der Einhaltung der erteilten Auflagen vornehmen zu können. Derartige Fern-Interventionstechnologien, wenn auch aus nachvollziehbaren Gründen zur unmittelbaren Verhinderung des Eintritts eines Überwachten in einen unerwünschten Bereich (Exklusionszone) wünschenswert, stehen ethische und moralische Gründe entgegen.

Des Weiteren sind die Einhaltung der Grundrechte sicherzustellen. EM schränkt die Bewegungsfreiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) unweigerlich ein. Zu beachten ist aber, dass der Verurteilte die Vollzugsform selbst beantragt und mit seiner Zustimmung zur Vollzugsform EM diese Beschränkung in Kauf nimmt.

Wie sehen Sie die Zukunft des «Electronic Monitoring»?

Die schweizweite Anordnung von EM ist bis 2006 von ursprünglich 66 Fällen im Jahr 1999 auf 549 Fälle angestiegen. Im Vergleich dazu sind die Vollzüge in Halbgefangenschaft mit 1’179 Fälle im Jahr 1999 und 865 Fälle im Jahr 2006 rückläufig. Der Anteil von Electronic Monitorring am Gesamtvollzug liegt 2019 bei 3 % (379 Vollzüge), jener der Halbgefangenschaft bei knapp 1 % (118 Vollzüge). Die Einweisungen in den Normalvollzug sind kontinuierlich angestiegen.

Demnach kann EM als Alternative zur Halbgefangenschaft angesehen werden und zeigt eine Entlastung solcher Vollzugseinrichtungen auf, welche Halbgefangenschaft anbieten. Eine Verdrängung des Normalvollzugs seit der Einführung von EM kann allerdings nicht beobachtet werden. Zu beachten ist dabei, dass erst seit 2018 schweizweit EM angeboten wird. Vorab wendeten erst sieben Kantone den elektronisch überwachten Strafvollzug an.

Aktuell wird EM als Hausarrest in Verbindung mit der Volksabstimmung vom 13. Juni 2021 über das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) diskutiert. Die neuen Massnahmen sollen dabei durch Kontroll- und Umsetzungsmassnahmen ergänzt werden. Die elektronische Fussfessel könnte dabei zur Ortung von Personen eingesetzt werden.

Die Swiss Paralegal Association bedankt sich bei Frau Mergenthaler-Frei für das spannende Interview und wünscht ihr weiterhin viel Erfolg!

28. Juni 2021